Hebel, Gewicht und Stabilität
Zunächst rudert der Frankfurter Ruderverein von 1865 mit gemieteten Booten von der Werft Leux. Diese haben 3 Ruderplätze mit Doppelrudern. Zwei davon, Charlotte und Venus, werden 1866 auf Riemen mit Steuermann umgerüstet und daraufhin als „englische“ Boote bezeichnet.
Im April 1866 kommt das neue, von Leux für den FRV angefertigte sechsruderige Boot hinzu: Die Gig, die auch gesegelt werden kann und wie ein Seeschiff ein Steuerrad hat, ist aus Eichenholz, fast neun Meter lang und wiegt rund 250 kg. Der Blog 150 Jahre hat sie →hier bereits genauer beschrieben. All diese Boote sind so schwer, dass sie dauerhaft im Wasser liegen und nicht im Bootshaus gelagert werden. Sie sind sicher auch deutlich langsamer als heutige Boote. Die Physik der Ruderboote hat sich vor allem in den ersten fünf Jahrzehnten nach der Gründung noch stark entwickelt, wie ein Blick in die Vereinsgeschichte zeigt.
Der aus seinen Stammlanden nach Österreich emigrierte Herzog von Nassau stiftet 1868 zwei holländische Dollenboote und wenige Monate später zeigt ein Besucher aus Rotterdam den FRV-Mitgliedern auch das damit mögliche „Scheeren“, also das Drehen der Ruderblätter außerhalb des Wassers. Ein weiteres „holländisches Dollenboot aus Fichtenholz“ schafft der Verein 1871 an. Offenbar haben diese Dollenboote statt einer rechteckigen Aufnahmevorrichtung in der hölzernen Bordwand bereits eine runde aus Stahlgestänge, die auf die Bordwand genietet war.
Bei der →ersten internationalen Regatta gegen den Seeklub Zürich 1872 nutzte der FRV dann bereits eine Ausleger-Gig, die Adolf (benannt nach dem Spender FRV-Vizepräsident Adolf Becker). Die waagechten Ausleger bieten den optimalen Drehpunkt für den Hebel und ermöglichen, das Boot schmaler und leichter zu konstruieren.
Die Bestandsliste des FRV von 1873 unterscheidet laut Chronik 60 Jahre FRV (S. 22) die mehr als 20 Gefährte in deutsche, holländische, englische und Schweizer Boote, Zweier, Vierer, Sechser und Zwölfer (allerdings kein Achter), Gig und Rennboot, sowie Dollenboot, Halbausleger- und Auslegerboot. Außerdem ein Rennkanu, ein Segelboot, verschiedene Grönländer. Die Sitze sind freilich noch fest und die Ausleger noch so ein Novum, dass es damals (ebenfalls laut Chronik) vorkommen kann, dass man einsteigt und die Füße festschnallt, ohne die Riemen einzustecken und dann prompt kentert.
Auf einem zeitgenössischen Bild zu erkennen sind alle Bootstypen des FRV. Vielleicht handelt es sich (von links nach rechts) um Salamander, das vierruderige englische Ausleger-Rennboot, und Adolf, das vierruderige englische Auslegergig, einen der „Grönländer“ (= Kajak), Helvetia, ein statt acht- eigentlich zwölfruderiges Schweizer Dollengig mit Baldachin für die Fahrgäste und großer FRV-Flagge, sowie das Segelboot Möve.
1875 führt der FRV bewegliche Sitze ein (60 Jahre FRV, S. 24), zunächst wohl noch auf Schienen statt der heutigen Rollen.
Aus: Pieter Helbert Damsté und Frans Eduard Pels Rijcken, →Nederlandsch handboek voor roeisport, Leipzig ca. 1890. Im Archiv des FRV befindet sich ein ganz ähnliches Dollenexemplar (Foto Walter Breitinger).
Noch 1883 berichtet Wassersport (No. 8, 22. Februar, S. 90), dass sich in England der Drehdollen bislang nur bei einruderigen Booten durchgesetzt habe, der „viereckige feste Dollen“ aber bei allen Riemenbooten Standard sei. Aber immerhin „sind wir sicher, dass mit einer grösseren Vervollkommnung des Metallwerks im Ruderboot auch der Drehdollen allgemein eingeführt werden wird.“ (S. 91)
Und noch 1885 muss Dr. Erich Schiller vom Berliner Ruder-Verein im Wassersport (11. und 18. Juni 1885) ausführlich die technischen Vorzüge des Rollsitzes gegenüber dem Gleitsitz schildern. Vor rund hundert Jahren ist dann allerdings die Mechanik des Boots weitgehend ausgereizt, seither werden die Materialien verbessert, werden die Boote dank Kunststoff und innerer Konstruktion (z.B. mittels Waben) leichter, glatter und stabiler. Rein äußerlich unterscheidet sie sich aber kaum noch, haben sich nur noch die Form des Ruderblatts und teilweise auch der Ausleger verändert.
Einen guten Überblick über die Entwicklung im Bootsbau bieten zwei Konstanzer Ruderer in ihrem empfehlenswerten, online verfügbaren Aufsatz. Hier nur ein paar Auszüge:
Reine Holzrennboote, wie sie noch 1950 in Eton, England handwerklich und nahezu vollständig aus Holz hergestellt werden, sind inzwischen zur Rarität geworden. Der FRV kann sich glücklich schätzen, noch einige wenige zu besitzen.
Reine Holzrennboote, wie sie noch 1950 in Eton, England handwerklich und nahezu vollständig aus Holz hergestellt werden, sind inzwischen zur Rarität geworden. Der FRV kann sich glücklich schätzen, noch einige wenige zu besitzen.
Bildquelle: Wenn nicht anders angegeben, Archiv des FRV
by Ulrich Meissner