Wiedergründung 1946: Mehr Kontinuität als Wandel?

Mit einfachsten Mitteln lädt der frühere stellvertretende Vorsitzende Kuno Woelcke (unterstützt von Paul Elschner) ein Jahr nach dem Kriegsende in Frankfurt im März 1946 zunächst zu einer Vorbesprechung der ersten Mitgliederversammlung ein: Der Brief ist ein mit Matrize abgezogenes DIN-A5-Blatt mit maschinengetipptem Absender und Adresse, gefaltet, mit Papierstreifen zusammengeklebt und …… mit aufgestempelten 6 Pfennig Porto. Viele Briefe erhielt der Absender mit dem Vermerk „Haus zerstört, neue Anschrift unbekannt“ zurück, 36 solche Rückläufer listet Paul Elschner auf. Demgegenüber wurden 77 Adressen in der Vorbesprechung am 24. März 1946 im Börsenstübl in der Hochstraße 54 offenbar als korrekt bestätigt.

Einladung zur Vorbesprechung der ersten Mitgliederversammlung nach dem Zweiten Weltkrieg 

Eine Inventurliste vom 31. März 1946 besagt, dass einzig vier Ruder vom Sachvermögen des FRV übrig sind, mit den beiden Bootshäusern sind durch Kriegseinwirkung 40 Ruderboote sowie 32 Falt- und Paddelboote verloren gegangen. Das Geldvermögen von rund 22.000 Reichsmark wird durch Forderungen von rund 17.000 RM geschmälert, die als Kriegsschadenforderung gemeldeten Werte der Bootshäuser von rund 50.000 RM am Hochkai und 40.000 RM am Tiefkai betrachtet der Kassenprüfer zu Recht als „höchstwahrscheinlich völlig wertlos“.

Am 12. Mai des Jahres findet dann eine außerordentliche Mitgliederversammlung mit 50 Teilnehmern statt. Sie verabschiedet die neue Satzung und wählt den neuen Vorstand. Kuno Woelcke wird einstimmig zum 1. Vorsitzenden gewählt, Hans Böhm(e?) bei 12 Enthaltungen zum 2. Vorsitzenden, ebenfalls einstimmig berufen werden Seppl Brand zum Kassenführer, Rolf Roetger zum Schriftführer und Hugo Düring zum Ruderwart. „DIE VERSAMMLUNG ehrt [30 Gefallene und weitere Verstorbene] durch Erheben von den Plätzen“. Nach der Wahl „dankt Kam[erad] Woelke allen den Mitgliedern mit August Wurm [der als Wahlleiter agiert] und Dr. Mertens an erster Stelle, die sich in den letzten Jahren für die Belange des Vereins in selbstloser Weise eingesetzt haben,“ so das Protokoll.

Der vormals 2. Vorsitzende Kuno Woelcke übernimmt also den Vorsitz von NSDAP-Mitglied Mertens. Dazu der Sohn und spätere Nachfolger Hans-Joachim Woelcke in seinen Erinnerungen von 1996:

Dr. Mertens konnte kein 1. Vorsitzender bleiben, da er Parteimitglied war, also sprang mein Vater wieder einmal ein, der dies nicht war. Freilich stellte man fest, daß er im Reichsbund für Leibesübungen war, wie in der Hitlerzeit jeder Vorsitzende, gleich ob 1., 2. oder 3. Auf diese Tatsache stießen alsbald auch die Entnazifizierer, also durfte er.

70 Jahre“, S. 13

Offenbar gelang es dann auch Mertens rasch, die dunkle Vergangenheit abzustreifen, denn schon in den Jahren 1948-49 wird er Vorsitzender des Frankfurter Regattavereins. Zunächst übernimmt dieses Amt jedoch der relativ unbescholtene Stadtrat im Ruhestand →Dr. August Robert Lingnau. Der 1960 gestorbene Lingnau, ist von 1912 bis zu deren Auflösung 1933 Mitglied der katholischen Partei Zentrum und seit 1932 [Ehrenmitglied?] im FRV. 1930 bis 1947, also in Weimarer Republik, Nazizeit und Besatzungszeit ist er Sportdezernent der Stadt Frankfurt und 1934-40 sowie 1945-47 Vorsitzender des Frankfurter Regattavereins. 1949 ist er ein Mitbegründer des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland. Bei den linientreuen Nazis war er nicht beliebt, wie eine politische Beurteilung durch NSDAP-Ortsgruppenleiter und Ratsherren Alex Röser vom 17. Januar 1942 beweist, die ihm – so wörtlich – „lächerliche“ Spendenbereitschaft für Winterhilfswerk und NSV vorwirft und dass er sich „vor der Machtübernahme in gehässiger Weise gegen den Nationalsozialismus gestellt“ habe (zitiert n. Bettina Tüffers, Der Braune Magistrat, Studien zur Frankfurter Geschichte, vol. 54, Frankfurt, 2004, S. 94ff.). Und der Regattaverein veranstaltet unter dem ersten Vorsitzenden Lingnau bereits am 8. September 1946 die wohl erste Nachkriegs-Regatta als Länderkampf zwischen britischer und amerikanischer Zone.

Nach einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 13. Oktober schickt der FRV am 31. Oktober 1946 seinen Mitgliedern einen schon recht ausführlichen gedruckten Terminkalender, der insbesondere für jedes Wochenende zu Aufräumarbeiten auf der Insel aufruft. Was auf dem Kalender im Postkartenformat „Arbeitseinsatz“ heißt, nennt Elschner in seinem Protokoll der Mitgliederversammlung noch in der Diktion des Tausendjährigen Reichs unbekümmert „Arbeitsdienst“. Nun ja, seine handschriftliche Mitschrift steht ja auch auf der Rückseite von Notizzetteln der „NSDAP/Hitler-Jugend Gebiet Hessen-Nassau (13)“. Und noch 10 Jahre später findet das Mitteilungsblatt des FRV nichts dabei, den alten Begriff zu nutzen:

1946 wurde der Ruder-Verein von der Besatzungsmacht wieder zugelassen und damit seine Tätigkeit vor den Augen der Behörden legalisiert. Gleichzeitig wurden die ersten Pläne für den Wiederaufbau eines bescheidenen Bootshauses auf der westlichen Maininsel – dem angestammten Platze – ausgearbeitet und wiederholte Versuche unternommen, zunächst einmal Holz- oder Wellblechbaracken als provisorische Unterkünfte für noch aufzutreibende Boote zu beschaffen. Ein erster Arbeitsdienst (sic) räumte bereits den vorgesehenen Platz, auf dem sich von 1870 bis 1913 unser altes Bootshaus erhoben hatte, von den dort aufgestapelten Quadern, die für den Aufbau des Brückgebäudes (sic) bestimmt waren.
Diese ersten Pläne zerschlugen sich. Die städtischen Behörden versagten ihre Genehmigung. Sie wollten kein Dauerprovisorium auf der Maininsel. Als positives Ergebnis blieb die Zusage des Stadtrats [Adolf] Mierschs [SPD] an unseren Ehrenvorsitzenden Dr. Mertens, daß der Ruder-Verein wieder auf der Maininsel sein Haus aufrichten könne.   

(Mitteilungsblatt Nr. 4, 1955)

Mit dem Untergang der Bootshäuser und der halben Stadt war keineswegs ein völlig neues Denken entstanden. Als Befreiung vom Nationalsozialismus wird die Niederlage meist erst Jahrzehnte später begriffen werden, in Deutschland und eben auch im Frankfurter Ruderverein.

by Ulrich Meissner